Freiburg: Geflüchtete klagen erfolgreich Grundrechte in Aufnahmeeinrichtungen ein

Verwaltungsgerichtshof: Zimmer sind grundrechtlich geschützte Wohnungen

Pressemitteilung 25.02.2022 | Freiburg, Mannheim, 24. Februar 2022: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat heute seine Entscheidung zur Hausordnung in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg bekanntgegeben und der Klage mehrerer Geflüchteter in wichtigen Punkten stattgegeben. Sechs Geflüchtete der LEA hatten im Dezember 2020 einen Normenkontrollantrag eingereicht. Der VGH entschied, dass die regelmäßigen Zimmerkontrollen schwerwiegende Grundrechtseingriffe darstellen und keine bestimmte gesetzliche Grundlage besitzen. Das Gericht bestätigte, dass die Privatzimmer in den Unterkünften grundrechtlich geschützte Wohnräume sind. Das Land Baden-Württemberg muss jetzt das Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) überarbeiten.Wegen des laufenden Verfahrens des VGHs hatte die Stadt Freiburg die Evaluation der LEA verschoben. Im vergangenen Dezember billigte der Gemeinderat den vom Regierungspräsidium (RP) erstellten Evaluationsbericht und sprach sich damit offiziell für einen Verbleib der Einrichtung aus. Entgegen erheblicher Bedenken aus einem Rechtsgutachten, einer weiteren Klage und mehreren Protesten in Freiburg entschied sich die Stadtpolitik gegen eine eigenständige politische Evaluation. Obwohl Bewohner*innen der LEA rechtlich auch Einwohner*innen der Stadt sind, sieht die Stadt die Verantwortung allein beim Regierungspräsidium. Indem das RP die Klage als unzulässig abzuweisen versuchte, brachte es sein fehlendes Interesse an einer gerichtlichen Klärung zum Ausdruck. Zugleich betont es, dass die LEA einen Schutzraum darstelle, den Bewohner*innen aber wegen der konkreten Ausgestaltung keine ansatzweise qualitative Privatsphäre zukomme.„Das Urteil muss als Zurechtweisung einer Politik verstanden werden, die auf Landes- wie auf Stadtebene die rechtswidrigen Missstände wiederholt gutgeheißen oder kleingeredet hat. Dass Schutzsuchende selbst die Landespolitik entgegen massiver Widerstände an ihre eigene Verfassung erinnern müssen, sagt viel darüber aus, wie Geflüchtete in Baden-Württemberg behandelt werden“, sagt Ben Bubeck, ein Sprecher von LEA-Watch. „Die Position des RPs, die LEA einerseits als Schutzraum zu betiteln und den Bewohner*innen andererseits jegliche Privatsphäre zu verwehren, zeigt einmal mehr den eigentlichen Charakter dieser Aufnahmeeinrichtungen: Sie dienen in erster Linie nicht der ersten Registrierung, sondern der Isolation und Vereinfachung von Abschiebungen“.Auch die Kläger Emmanuel Annor und Ba Gando pochen auf Veränderung: „Wir haben gegen die Hausordnung geklagt, weil die restriktiven Regelungen und ständigen Kontrollen ein menschenwürdiges Leben in der Unterkunft unmöglich machen. Die Entscheidung heute gesteht uns zumindest ein Mindestmaß an Grundrechtsschutz zu. Das ist ein wichtiges Signal, auch wenn wir wissen, dass es zwischen der Realität und dem Recht häufig einen großenUnterschied gibt. Wir werden weiter für uns und unsere Rechte einstehen“.Eine Sprecherin der Aktion Bleiberecht betont die Bedeutung des Urteils für die Freiburger Politik: „Die heutige Entscheidung des VHG bestätigt die rechtswidrigen Verhältnisse der LEA und somit die Dringlichkeit, die Freiburger Asylpolitik in Frage zu stellen. Bislang hat Freiburg bezüglich der LEA jegliche Handlungsmacht verweigert und dem Land Baden-Württemberg die Verantwortung übertragen. Gleichzeitig hat sich die Stadt mit der Übernahme einer LEA auf ihrem Gebiet von der Verantwortung freigekauft, weitere Flüchtlinge auf kommunaler Ebene aufzunehmen. Nach dieser Entscheidung fordern wir nocheinmal, dass Freiburg Verantwortung übernimmt. Nicht für eine ‚bessere LEA’, sondern für ein eigenes kommunales Aufnahmekonzept. Der Gemeinderat Freiburg muss der LEA unverzüglich seine politische Unterstützung entziehen und sich in der Diskussion um eine andere Aufnahmepolitik aktiv für die Rechte von Flüchtlingen und menschenwürdiges Wohnen einsetzen.“

Aktion Bleiberecht/ LEA WatchAdlerstr. 1279098 Freiburglea_fr_watch@riseup.netwww.aktionbleiberecht.de / www.leawatch.noblogs.orgPressekontakt: 01788262773

Zum Hintergrund

Sechs Geflüchtete haben im Dezember 2020 Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim gegen die Hausordnung der LEA Freiburg eingereicht. Die Klage wird von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und Pro Asyl unterstützt. Die Hausordnung galt in allen Landeserstaufnahmeeinrichtungen wortgleich. Im Dezember 2021 hat das Regierungspräsidium Freiburg eine neue Hausordnung erlassen und argumentiert, die Klage vor dem VGH sei als unzulässig abzuweisen. Zwar wurden dabei einige der kritisierten Regelungen überarbeitet, was jedoch kaum Auswirkungen auf die weiterhin massiven Grundrechtsverletzungen hatte. Die Türen zu den Schlafräumen sind nicht abschließbar. Der Sicherheitsdienst kontrolliert täglich die Zimmer und darf diese auch nachts und gegen den Willen der Bewohner*innen betreten. Sie dürfen keinen Besuch empfangen. Auf dem gesamten Gelände ist es ihnen verboten, sich politisch zu betätigen. Selbst einfache Haushaltsgegenstände wie eine Packung Reis, einen Gebetsteppich, einen Schraubenzieher oder einen Haarschneider dürfen sie nicht mit in die Einrichtung nehmen. Das nun erledigte Normenkontrollverfahren betraf nur die Eingangs-, Taschen- und Zimmerkontrollen. Gegen die restlichen Regelungen der Hausordnung läuft aktuell ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Freiburg.

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Hintergrundinformationen zur Evaluation:➢ Broschüre „Wohnen statt Massenunterkunft“:o https://www.aktionbleiberecht.de/blog/wp-content/uploads/2021/03/Broschuere-final12.03.2021-1.pdf➢ PM zur fadenscheinigen Evaluation:o https://www.aktionbleiberecht.de/blog/wp-content/uploads/2021/12/Ihr-Lagerlein-bleibetPM-zur-fadenscheinigen-Evaluation-der-LEA-Freiburg.pdf➢ Homepage Grundrecht am Eingang abgeben:o https://grundrechte-am-eingang-abgeben.de/