STUDIE: Handydatenauswertung bei Geflüchteten ist teuer, unzuverlässig und gefährlich

Pressemitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte

Berlin, 27.12.2019 – Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) analysiert  routinemäßig die Mobiltelefone asylsuchender Menschen. Die Datenträgerauswertung ist  kostspielig, intransparent, generiert kaum verwertbare Ergebnisse und verletzt  Grundrechte, so das Ergebnis einer heute von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF)  veröffentlichten Studie.

Die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland  und Europa [2]“ befasst sich mit der im Jahr 2017 eingeführten Analyse elektronischer  Datenträger durch das BAMF. Wenn eine asylsuchende Person weder Pass noch Passersatzdokument vorweisen kann, ist die Behörde dazu berechtigt, ihr Smartphone  auszuwerten, um Hinweise auf Identität und Herkunft zu erhalten. Analysiert werden  Kontakte, ein- und ausgehende Anrufe und Nachrichten, Browserverläufe, Geodaten aus  Fotos sowie verwendete Emailadressen und Benutzernamen auf Plattformen wie  Facebook, booking.com und Tinder. Ein konkreter Verdacht, dass die asylsuchende Person  über ihre Identität oder ihr Herkunftsland lügt, ist nicht erforderlich.

„Handys enthalten unzählige persönliche Daten. Ein staatlicher Zugriff darauf ist deshalb  an hohe verfassungsrechtliche Hürden geknüpft. Indem das BAMF ohne konkrete  Verdachtsmomente die Handys geflüchteter Menschen durchleuchtet, missachtet es diese  Vorgaben eklatant“, sagt Lea Beckmann, Juristin bei der GFF und Co-Autorin des Berichts.  „Es verletzt damit das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität  informationstechnischer Systeme von zigtausenden Menschen – und das für wenig  aussagekräftige Ergebnisse.“

Seit der Einführung des Verfahrens im Jahr 2017 hat das BAMF hochgerechnet etwa 20.000  Mobiltelefone von Asylsuchenden ausgelesen und über 11 Millionen Euro in dieses  Verfahren investiert. Im Zeitraum Januar 2018 bis Juni 2019 scheiterte das Auslesen in  etwa einem Viertel der Fälle bereits an technischen Problemen. Mehr als die Hälfte der erfolgten Datenträgerauswertungen erwiesen sich als unbrauchbar. Nur in 1-2 % der  verwertbaren Auswertungen fanden sich Widersprüche zu den Angaben, die die  Asylsuchenden selbst in ihren Befragungen gemacht hatten. Von der Einführung des  Handydatenauslesen profitierten also in erster Linie die Technologiehersteller.

„Die Auswertung von Handydaten durch das BAMF zeigt die Grenzen unseres  Rechtsschutzsystems: Die Betroffenen haben praktisch keine Möglichkeit, sich dagegen zu  wehren. Nur das Bundesverfassungsgericht kann das zugrundeliegende Gesetz für  verfassungswidrig erklären und kippen. Ein solches Gerichtsverfahren ist langwierig und  kostspielig. Für die einzelne Person kommt Hilfe dann längst zu spät“, kritisiert Beckmann.  „Wir wollen helfen, diese Rechtsschutzlücke zu schließen. Deshalb bereiten wir derzeit  gemeinsam mit betroffenen Personen und engagierten Kooperationsanwälten rechtliche  Schritte gegen die Datenträgerauswertung vor.“

Für die Studie wertete die Journalistin Anna Biselli und die Juristin Lea Beckmann einen  umfangreichen Quellenbestand aus, darunter Ergebnisberichte von  Datenträgerauswertungen, Asylakten, interne Dienstanweisungen, Handbücher und  Schulungsunterlagen des BAMF, Dokumente aus dem Gesetzgebungsverfahren,  Stellungnahmen von Rechtswissenschaftler*innen, Flüchtlingsorganisationen und  Verbänden, sowie Informationen, die durch parlamentarische Anfragen in Bundestag und  Landesparlamenten öffentlich wurden. Zudem führten die Autorinnen Hintergrundgespräche mit Geflüchteten, Anwält*innen und Rechtswissenschaftler*innen,  Verfahrensberatungsstellen und Menschenrechtsorganisationen in Deutschland und  anderen Ländern Europas.

Die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland  und Europa“ finden Sie unter:

https://freiheitsrechte.org/studie-handydatenauswertung

Weitere Informationen über die Arbeit der Gesellschaft für Freiheitsrechte zur  Handydatenauslesung durch das BAMF finden Sie unter:

https://freiheitsrechte.org/refugee-daten


_____________________

Hessischer Flüchtlingsrat
Leipziger Str. 17
60487 Frankfurt

Tel: 069 – 976 987 10
Fax: 069 – 976 987 11

hfr@fr-hessen.de
www.fr-hessen.de [1]