Hungern gegen Ignoranz

Seit dem 1. August harren Flüchtlinge in Bitterfeld in einem Protestcamp aus.

Drei befinden sich seit einer Woche im Hungerstreik. Sie wollen auf ihre Lebensbedingungen in Asylbewerberheimen in Sachsen-Anhalt aufmerksam machen. Doch die zuständigen Kreis- und Landesbehörden interessiert das offenbar nicht. Die Flüchtlinge hatten sie für den gestrigen Mittwoch eingeladen, doch nicht ein einziger Vertreter erschien. Statt mit den Betroffenen zu reden, beteuerten die Ämter in Stellungnahmen, alles sei in Ordnung und die Unterkünfte »in normalem ZustanFotos vom Asylheim in Friedersdorf, die im Camp ausliegen, zeigen den »normalen Zustand«: Sperrmüllreife Möbel für zu viele Menschen auf zu engem Raum. In der isoliert gelegenen Baracke sind nach Angaben des Landkreises Anhalt-Bitterfeld 170 Flüchtlinge untergebracht. Ursprünglich war sie für 90 Personen ausgelegt. »Wir haben zu wenige Duschen und Toiletten, kein Internet, keinen Handyempfang«, berichtete Sina Alinia aus dem Iran junge Welt. Man fühle sich »rechtlos und unsichtbar«. Viele müßten wegen fehlender Papiere, »die sie meist gar nicht beschaffen können«, mit 184 statt 321 Euro im Monat auskommen. Die medizinische Betreuung sei »schlecht«, die Wege zu Behörden und Ärzten weit. Oft halte der Heimbetreiber wichtige Post tagelang zurück. Im Ausländeramt würden selbst Neuankömmlinge mit guten Englisch – aber keinen Deutschkenntnissen gezwungen, sich einen Dolmetscher zu besorgen. »Sie sagen, hier werde eben Deutsch gesprochen und basta«, sagte Oumarou Hamani Ousman aus dem Niger. Da helfe man sich, »so gut es geht«, gegenseitig. Zwar finde in Friedersdorf neuerdings zwei Stunden pro Woche Sprachunterricht statt. »Das genügt aber bei weitem nicht.«

Als »unerträglich« empfinden die protestierenden Flüchtlinge ihren ungeklärten Aufenthaltsstatus. Sie fordern deshalb ein Bleiberecht. »Fast alle von uns sind täglich von Abschiebung bedroht«, erklärte Ousman. Er erträgt diese Situation seit knapp elf Jahren. Das bedeutet: Er muß im Heim leben, darf nicht arbeiten, das Bundesland nicht verlassen. Ousman und seine Freunde sind entschlossen, solange zu campen, »bis sich was bewegt«. Die linke Landtagsabgeordnete Henriette Quade appellierte am Mittwoch an Behörden und Politik, die Flüchtlinge »wenigstens anzuhören, bevor sich die Situation dramatisch zuspitzt«. Lösungsansätze wären ihrer Ansicht nach etwa eine reguläre Unterbringung in Wohnungen sowie adäquate soziale und rechtliche Betreuung. Ferner sei ein gleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt nötig. »Dazu muß die Asyl- und Bleiberechtspolitik auf Bundesebene neu ausgerichtet werden«, so Quade.

Kreissprecher Udo Pawelczyk wies hingegen sämtliche Vorwürfe zurück. Die Unterkünfte in Anhalt-Bitterfeld würden regelmäßig geprüft. Hygienische oder andere Mängel seien nicht festzustellen; defekte oder abgenutzte Anlagen würden repariert. Leistungen kürze man nur, »wenn der Asylsuchende wiederholt seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt«. »Das Existenzminimum wird dadurch nicht angetastet«, beteuerte er. Anfang September starte zudem ein Projekt, einige Flüchtlinge zu viert bis sechst in Wohnungen unterzubringen. Damit erfülle der Landkreis seine Aufgabe. »Die Forderungen auf Anerkennung der Asylgründe, auf Bleiberecht und Abschaffen der Residenzpflicht betreffen Bundes- und Landesgesetzgebung und können von uns nicht beeinflußt werden«, erklärte Pawelczyk. Pia Leson vom Innenministerium Sachsen-Anhalt verwies auf Anfang 2013 erlassene neue »Leitlinien für die Unterbringung und soziale Betreuung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern«. Danach verstärkt durchgeführte Kontrollen hätten ergeben, daß Asylbewerber rechtskonform untergebracht und betreut würden. Ferner werde die BRD seit 2007 mit stark wachsenden Flüchtlingsströmen konfrontiert. Im ersten Halbjahr 2013 hätten 43016 Menschen Asyl beantragt, im gleichen Vorjahreszeitraum seien es 23066 gewesen, so Leson.

Das Camp der Flüchtlinge in Bitterfeld gehört zu einer bundesweiten Protestwelle von Asylsuchenden, die seit mehreren Monaten andauert. In Hamburg sind es 300 libysche Kriegsflüchtlinge, zur Zeit untergekommen in Kulturzentren, der St. Pauli Kirche und einer Moschee, die ein Aufenthaltsrecht fordern und inzwischen in die Gewerkschaft ver.di eingetreten sind, die sich in einem Pilotprojekt arbeitsrechtlich auch um Menschen ohne Papiere kümmert. Auf dem Berliner Oranienplatz kampieren seit mehreren Monaten Asylsuchende. In München wurde Ende Juni ein Protestcamp hungerstreikender Flüchtlinge nach einer Woche gewaltsam von der Polizei geräumt.

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