Der Göttinger Jetmir K. soll am 07. August ins Kosovo abgeschoben werden

Jetmir K. ist 21 Jahre alt. Seit seinem 4. Lebensmonat lebt er mit seiner Familie in Deutschland.

Seit dem 31. Juli 2012* sitzt er im Abschiebegefängnis in Hannover-Langenhagen und soll nach dem Willen der Behörden am kommenden Dienstag, den 07.August, nach Pristina in Kosovo abgeschoben werden. Er kämpft mit seinem Anwalt weiterhin juristisch dagegen an, dass ihm ein Bleiberecht in Deutschland und seine Anerkennung als „de-facto-Inländer“ verwehrt wird. Nach einer gerichtlichen Niederlage am 01.08.2012 hat der Anwalt erneut vor dem Verwaltungsgericht Göttingen gegen die Vollstreckung der Abschiebung Klage eingereicht.
Bereits im Juni 2010 sollte Jetmir gemeinsam mit einem Teil seiner Familie nach Kosovo abgeschoben werden. Zusammen mit seinem Bruder flüchtete er sich damals in ein Wanderkirchenasyl, das von verschiedenen Kirchengemeinden und einem breiten Unterstützer_innenkreis getragen wurde. Dieser Fall des Widerstandes gegen die unmenschliche Abschiebepolitik erlangte große Aufmerksamkeit in Göttingen wie auch bei überregionalen Medien.

Nach vier Monaten des fortgesetzten Hoffens und Bangens im Kirchenasyl war es ihm möglich, seinen Schulbesuch fortzusetzen. Anschließend bemühte er sich darum, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen.

Obwohl er beinahe sein ganzes Leben in Deutschland – den größten Teil davon in Göttingen – verbracht hat, betrieben die Behörden weiterhin seine Abschiebung in ein Land mit dem ihn, außer der Herkunft seiner Eltern, nichts verbindet. Diese waren 1990 aus dem damals noch bestehenden Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Seine Eltern mussten sich und ihre kleinen Kinder vor Krieg und rassistischer Verfolgung in Sicherheit bringen wie tausende andere Roma und Romni auch. Seither ist der Alltag der Familie immer wieder geprägt durch die ständige Furcht vor einer Abschiebung, mit der die Ausländerbehörden sie ständig bedrohte.

Dieser Druck und die fortgesetzte rassistische Ausgrenzung, auch seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft, bewirkten bei den Familienangehörigen ein kaum vorstellbares Ausmaß von seelischem Leid. Zusätzlich waren sie stets den Beschränkungen des Ausländerrechts unterworfen. Deshalb ist es besonders zynisch, wenn eine angeblich fehlende Integration in die hiesige Gesellschaft Jetmir seitens der Behörden zum Vorwurf gemacht wird und immer wieder als Begründung des Abschiebewillens herhalten muss.

Jetmir ist Teil dieser Gesellschaft, ob er nun offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht. Ihn in das Kosovo abschieben zu wollen, ist Ausdruck einer letztlich rassistisch motivierten Politik im Umgang mit Roma und Romni. Die angeblich fehlende Integrationsbereitschaft, die vielen immer wieder unterstellt wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ausgeklügeltes System von Ausgrenzungen. Mit dieser Politik der sozialen Kälte werden selbst die jüngsten der Kinder immer wieder konfrontiert und müssen sich in diesem rassistischen Klima orientieren und irgendwie behaupten lernen. Bildungskarrieren verlaufen wie bei Jetmir deswegen oft auch abweichend von Idealvorstellungen. Das ist bei Kindern mit deutschem Pass, die sozial benachteiligt werden, leider oftmals nicht anders.

Jetmir deswegen für „nicht zugehörig“ zu erklären, ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung, die einzig und allein die vermeintliche Leistungsfähigkeit zum Dreh- und Angelpunkt dafür macht, ob einem Menschen menschenwürdige Lebensbedingungen zugebilligt werden oder nicht.

Jetmir ist für die Unterstützung seiner schwer erkrankten Eltern ein extrem wichtiger Stützpfeiler. Die Eltern sind im Gegensatz zu Jetmir der deutschen Sprache kaum mächtig und bereits deswegen auf seine Hilfe angewiesen. Außerdem übernimmt er auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen seiner Eltern auch für seinen 15jährigen Bruder H. eine stützende Funktion. So ist die geplante Abschiebung Jetmirs ein unverantwortlicher Akt behördlicher Barbarei!

Bis heute werden Roma und Romni europaweit gesellschaftlich ausgegrenzt. Die deutsche Gesellschaft verweigert sich großteils der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. So wird hier kaum wahrgenommen, dass während der NS-Herrschaft von den Deutschen europaweit ca. eine halbe Million Roma/Romni sowie Sinti/Sintezze gezielt ermordet wurden. Dieses Menschheitsverbrechen trägt in der Überlieferung der Roma den Namen „Porrajmos“ („das Verschlingen“).

Ca. 400 Roma und Romni sind in Stadt- und Landkreis Göttingen seit vielen Jahren immer wieder akut von einer Abschiebung bedroht. Ihnen drohen sowohl im Kosovo, wie auch in Serbien oder Montenegro eine Landung im wirtschaftlichen Elend. Sie werden dort aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit nicht nur noch schärfer ausgegrenzt als in Deutschland, sondern zum Teil auch körperlich bedroht oder angegriffen. Die Politik, Roma in Lagern zu ghettoisieren, zeigt vielerorts ein noch schlimmeres Gesicht als hierzulande.

Jetmirs Abschiebung in dieses Nichts ist durch Nichts zu rechtfertigen. Die Sprache seiner Eltern spricht er nur gebrochen, da er in Deutschland aufgewachsen ist. In Kosovo hat er keine Verwandten, bei denen er eine Bleibe finden könnte, denn diese sind entweder tot oder in die anderen Fluchtländer verstreut.

Da selbst die Behörden mittlerweile davon ausgehen, dass Jetmir sich bei der Abschiebung etwas antun könnte, ist für den Flug am 07. August eine sogenannte „Begleitung“ vorgesehen. Das bedeutet, dass ihm jemand zur Seite gestellt wird, der aufpassen soll, dass Jetmir das Abschiebeziel lebendig erreicht. Abgesehen von einer Übergabe an die Behörden im Kosovo ist das Schicksal von Jetmir den deutschen Behörden dann völlig gleichgültig. Wenn er nach der Abschiebung dann versuchen sollte, jemals nach Deutschland, das er als seine Heimat ansieht, zurückzukehren, müsste er zunächst die Kosten für die Abschiebehaft, den Abschiebeflug, die „Begleitung“ und sämtliche Gerichtsverfahren vollständig bezahlen. Nach erfolgter Zahlung läge es im Ermessen der Göttinger Ausländerbehörde, wie viele Jahre er im Kosovo warten müsste, bevor er jemals wieder legal einen Fuß auf „deutschen Boden“ oder auch einen anderen „Schengen-Staat“ setzen dürfte. Da Roma/Romni in Kosovo aber praktisch keine Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten bekommen, sind die Abgeschobenen weitgehend auf die Überweisungen ihrer noch nicht abgeschobenen Verwandten angewiesen, die selber nicht genügend Geld zum Leben haben.

Der AK Asyl ruft angesichts dieses erneuten Falles unmenschlicher Abschiebepolitik dazu alle Göttinger_innen dazu auf, sich gegen diese Politik der Ausgrenzung gemeinsam und solidarisch zur Wehr zu setzen. Es wird zu diesem Anlass am kommenden Montag, den 06. August 2012, um 14.00 Uhr eine Protestkundgebung vor dem Neuen Rathaus am Hiroshimaplatz in Göttingen geben.

Dort wird es auch für unmittelbar von rassistischer Ausgrenzung betroffene Menschen die Gelegenheit geben, ihre Stimme über ein „offenes Mikrophon“ in die Öffentlichkeit zu tragen. Der AK Asyl fordert die zuständigen Behörden zur sofortigen Freilassung von Jetmir K. aus der Abschiebehaft auf und ihm und seiner Familie endlich das dauerhafte Bleiberecht zuzusprechen!

Der AK Asyl fordert, die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen endlich ernst zu nehmen!

AK Asyl Göttingen, 05. August 2012

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