Bakschisch-Zahlungen auf Kosten der EU und von Ausländern?

Wir überlassen dem Leser zu entscheiden,

ob es sich bei dem berichteten Vorgang nur um behördlichen Einfallsreichtum oder um Bestechung handelt. Beteiligt an der Geschichte sind jedenfalls diese Personen: Von niedersächsischen Landesbehörden, Herr S und Frau R. Als Mitarbeiter der Bundespolizeidirektion Koblenz u. a. Polizeirat D und Frau L. Von Seiten der EU-Kommission aus der früheren »Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit« Herr de B und Herr B. Ferner fünf angeblich hochrangige Bedienstete des Staates Sierra Leone, nämlich Herr Bassi, Herr James Goodwyll, Frau Kadie Sesay, Herr Alhaji Banie Sesay und Herr Koroma. Und zu schlechter Letzt Richter am Verwaltungsgericht Braunschweig, Dr. A.

Dies geschah: Um Ausreisepflichtige, die mutmaßlich aus Sierra Leone stammen, jedoch nicht über Reisepapiere verfügten, abschieben zu können, luden Behörden der Bundesrepublik Deutschland die oben genannten Personen aus Sierra Leone 2008 nach Deutschland ein. Sie sollten Heimreisepapiere ausstellen. Den angeblichen Offiziellen wurden in Hamburg und Karlsruhe insgesamt 161 Personen »vorgestellt«. Es ist nicht bekannt, ob und wieviele Rückreisepapiere ausgestellt worden sind. Bekannt geworden sind bei der Aktion aber folgende Merkwürdigkeiten: Der wenige Tage dauernde Besuch der »Offiziellen« verursachte insgesamt Kosten von 49.264,48 EUR. Hiervon hat die EU aufgrund eines Vertrages mit der Bundespolizeidirektion Koblenz 69,56 %, also 33.840,41 EUR, Fördermittel im Rahmen einer Maßnahme »Auswertung der bewährten Praktiken für die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Rahmen der Identifizierung von ausreisepflichtigen Drittstaaten …« gezahlt. Den fünf Besuchern aus Afrika wurden »Tagegelder« in Höhe von insgesamt 7.200 EUR ausgezahlt. Da die »Offiziellen« augenscheinlich unvorbereitet eintrafen, mussten in Deutschland für sie u. a. beschafft werden: 10 Datumsstempel sowie Büromaterial wie Klebestift und Büroklammern. Auch spezielles Papier für die Ausstellung von Heimreisedokumenten. Und – besonders pikant ein »Dienstsiegel« der Republik Sierra Leone, das durch einen Hamburger Schlüsseldienst zum Preis von 63,50 EUR angefertigt wurde. Weiter entstanden Dolmetscherkosten in Höhe von rund 5.000 EUR, Flugkosten für die »Delegation« und den Dolmetscher von rund 16.000 EUR und Hotelkosten für die »Delegation« und für Begleiter der Bundespolizei in Höhe von ca. 10.000 EUR. Ferner wurden hohe Aufwendungen getätigt für Essen mit z. T. beträchtlichen Trinkgeldern und für die Aufladung von Prepaid-Handys. Auch für Rahmenprogramme wurde einiges berappt. Diese sollen nach Mitteilung des Landes Niedersachsen für eine »vertrauensbildende Atmosphäre« notwendig gewesen sein. Dazu gehörten ein Besuch mit reichlich Genuss von Holsten Bier im Fußballstadion des HSV zu einem UEFA-Cup-Spiel sowie eine Bootsfahrt im 85 km von Karlsruhe entfernten Strasbourg. Die von der EU-Kommission nicht gezahlte Restsumme wurde unter den 161 Afrikanern aufgeteilt und von diesen durch Leistungsbescheid als »Anhörungsgebühr« für eine angebliche »Vorführung bei der Botschaft von Sierra Leone« geltend gemacht.

Wir kennen den Fall eines einzelnen Afrikaners: Von diesem wurden zunächst anteilige »Anhörungsgebühren« von 178,34 EUR gefordert. Später wurde das vermindert auf 171,90 EUR. Nachdem der Rechtsanwalt Nachfragen stellte, wurden die Tagegelder der »Delegation«, die Kosten des Rahmenprogramms, die Kosten für Dienstsiegel und Büromaterial sowie für Gastgeschenke und eine Arztrechnung aus der Gesamtrechnung herausgenommen und die anteilige Gesamtforderung auf 154,00 EUR abgesenkt.

Dass der gesamte Vorgang zum Himmel stinkt, focht den mit der Klage befassten Richter Dr. Allner in keiner Weise an. Die nach sukzessiver Ermäßigung der anteiligen Kosten noch anhängige Klage wies er durch Urteil vom 8.4.2011, 4 A 185/10, ab, wobei er die Unbedenklichkeit hatte, zur Begründung vollinhaltlich auf den Ausgangsbescheid, der allerdings im Laufe des Verfahrens mehrfach geändert worden war, Bezug zu nehmen. Lediglich folgender Satz der Begründung stammt von ihm: »Ergänzend ist hinzuzufügen, dass der Kläger jahrelang schuldhaft seiner Pflicht, einen Pass vorzulegen, nicht nachgekommen ist und deshalb auch die in der Höhe berechtigten Aufwendungen der beteiligten Behörden für die Beschaffung eines Passes zu erstatten hat.«

Klar, dass dann der Ausländer für die Sause zu zahlen hat, die Behörde wird‘s schon richtig gemacht haben. Die EU hat ja schließlich auch gezahlt!

Dass dieser Richter auch noch einen Beweisantrag des Anwalts ohne Begründung (weder in der mündlichen Verhandlung noch im Urteil) ablehnte, verwundert dann überhaupt nicht mehr. Wenn alle Richter so wären, könnte man die Verwaltungsgerichtsbarkeit gleich abschaffen!

Die Redaktion fragt: Wieso handelt es sich um eine »Botschaftsvorführung«, wenn von deutschen öffentlichen Stellen eingeladene und bezahlte, nicht näher bezeichnete Personen aus Afrika, hier für einen Kostenpunkt von rund 50.000 EUR durch Deutschland reisen? Ist es eigentlich üblich, dass Dienstsiegel eines Landes von einem Schlüsseldienst in einem anderen Land angefertigt werden?

Sind die näheren Umstände der »Delegationsreise« nicht ein Indiz dafür, dass hier gar nichts mit rechten Dingen zugegangen ist? Und wenn das so sein sollte, warum zahlt dann die EU so viel Geld dafür? Und warum sollten Ausländer dafür zahlen müssen? Vielleicht sollten sich einmal diverse Korruptionsbeauftragte um die Sache kümmern.

Zu vergleichbaren Unregelmäßigkeiten, das Land Sierra Leone betreffend, wird hingewiesen auf VG Magdeburg www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/17817.pdf und VG Bremen www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/16462.pdf

Quelle: Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht ANA ZAR 4/2011, 31, http://auslaender-asyl.dav.de/ANA-ZAR04-11.pdf

Beste  Grüße

Georg Classen
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