Eingeschränkte Rechte

Junge Welt 22.11.2010
Von Gitta Düperthal

Versammlungsfreiheit nur für Deutsche:
Erfurter Bundespolizei untersagt Flüchtling Teilnahme an Karawane-Konferenz in Berlin

Eigentlich wollten sie am Samstag zur Konferenz »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten« nach Berlin fahren. Doch ein Teil der Aktivisten wurde von Polizeibeamten daran gehindert, die Tagung unter dem Motto »Isolation brechen – Lager schließen« zu besuchen. Bis zum Sonntag wollten Betroffene, Journalisten und Menschenrechtler über die Situation von Flüchtlingen in den Lagern diskutieren. Allerdings scheint in Deutschland das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Versammlungsrecht nicht für alle zu gelten.

So wurden beispielsweise vier Menschen aus dem Thüringer Flüchtlingslager in Zella-Mehlis auf der Zugfahrt nach Berlin zur Umkehr gezwungen. Beamte der Bundespolizei unterzogen zwei von ihnen beim Umsteigen in Erfurt einer Ausweiskontrolle. Einen der Aktivisten, der eine Duldung besaß, forderten die Polizisten auf, in den Kreis Schmalkalden-Meiningen zurückzukehren. Letztlich mußten sich alle vier auf den Heimweg machen, weil sie sich gemeinsam nur ein Wochenendticket der Bahn für 37 Euro hatten leisten können. »Der Ausländer hat seine Residenzpflichten nicht erfüllt«, begründete der diensthabende Beamte Menzel (seinen Vornamen wollte er nicht nennen) von der Bundespolizeidirektion in Erfurt, am Samstagabend diese Maßnahme auf Nachfrage von junge Welt. Nach dem Asylverfahrensgesetz habe der Flüchtling beim ersten Verstoß gegen die »Residenzpflicht« eine Ordnungswidrigkeit, beim zweiten mal eine Straftat begangen, so Menzel.

Das Recht auf Versammlungsfreiheit gelte zudem nicht für Flüchtlinge, so der Beamte. Tatsächlich steht in Artikel 8 des Grundgesetzes: »Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.« Das Argument, daß im selben Grundgesetz auch das Recht verbrieft ist, daß sich jeder ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichten darf, ließ er nicht gelten. Die Flüchtlinge hätten vorher nur um Erlaubnis fragen müssen, »die ihnen die Ausländerbehörde sicherlich gewährt hätte«, sagte Menzel.

Daß dies keineswegs so einfach ist, mußte ein Flüchtling aus dem Lager in Meinersen, Kreis Gifhorn, in Niedersachsen erfahren, der ebenfalls zur Konferenz wollte. Nachdem er auf Einladung der Flüchtlingsorganisation »Karawane« hin eine Besuchserlaubnis beantragt hatte, schickte ihm die Ausländerbehörde in Gifhorn ein Schreiben. In dem vom Leiter des Amtes, Kai Renders, unterzeichneten Dokument heißt es unter anderem: »Ich darf Ihnen mitteilen, daß ihr Antrag, nach Berlin zu fahren, der Polizeiinspektion Gifhorn, dort Abt. Staatsschutz, übersandt werden wird«. Diese werde das Ersuchen »neu bewerten und die Ausländerbehörde Gifhorn entsprechend informieren«. Weiterhin wird er aufgefordert, »zukünftig jegliche Antragstellung nur noch über seinen Anwalt« abzuwickeln.

Ralf Santana Lourenco, Sprecher der Karawane Hamburg, übte scharfe Kritik an solchen Methoden. Damit werde beabsichtigt, Flüchtlinge an der Wahrnehmung ihrer Grundrechte zu hindern, sagte er. So seien insgesamt zehn Flüchtlinge in Zella-Mehlis und einigen weitere Menschen in Remscheid gar nicht erst zur Tagung in die Hauptstadt gefahren, nachdem sie in den Nachrichten über verstärkte Kontrollen auf Bahnhöfen im Zusammenhang mit Terrorwarnungen gehört hätten. Trotz solcher Umstände sei die Veranstaltung noch vergleichsweise gut besucht gewesen, betonte ­Lourenco.

Bei dem Symposium äußerten mehrere Flüchtlinge gegenüber junge Welt ihr Entsetzen darüber, daß die Demokratie in Deutschland im Zusammenwirken von Gesetzgeber, Ausländerbehörden und Polizei zurückgefahren werde.