Positionspapier zur Auseinandersetzung um die Erstaufnahmeeinrichtung in Freiburg

Und täglich grüßt der Grundrechtsbruch

Positionspapier von LEA-Watch zum aktuellen Stand der Kampagne „Grundrechte am Eingang abgeben“ und der Diskussion um die Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg (30. Juli 2021)

Demonstration auf dem Weg zur Landeserstaufnahmeeinrichtung.

Im Frühjahr landete das Thema der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Freiburg für ein paar Wochen auf der stadtpolitischen Agenda. Ein Rechtsgutachten, Demonstrationen sowie eine breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft sorgten für mediale Aufmerksamkeit. Bei einer Podiumsdiskussion wurden Mitglieder des Gemeinderates mit  Kritik am Status Quo konfrontiert. Trotz all dem hat ein Umdenken nicht stattgefunden: Handfeste Veränderungen bleiben bislang aus.

In diesem Papier wollen wir ein Zwischenfazit ziehen und analysieren, warum es keine nennenswerten Konsequenzen aus der Kritik an der LEA gibt. Wie ist es möglich, dass der dortige andauernde Ausnahmezustand immer wieder kleingeredet wird?

Im Mai 2018 wurde die LEA mit politischer Unterstützung des Gemeinderates eröffnet. Von Anfang an gab es Kritik – Gespräche, Demonstrationen und offene Briefe folgten. Ein Rechtsgutachten aus dem letzten Jahr dokumentiert eindrücklich, wie gravierend in die Grundrechte der Bewohner*innen der LEA eingegriffen wird: Eine restriktive Hausordnung legitimiert unter anderem anlasslose Taschen- und Zimmerkontrollen, verbietet Besuche und macht selbst eine rudimentäre Selbstversorgung unmöglich. Für die intensiven Eingriffe in die Handlungsfreiheit, die Persönlichkeitsrechte und die Unverletzlichkeit der Wohnung gibt es bislang genauso wenig eine gesetzliche Grundlage wie für die Übertragung massiver Grundrechtseingriffe an private Sicherheitsfirmen. Deswegen forderten zuletzt 70 Gruppen und Einzelpersonen in einem Offenen Brief an das Innenministerium, das Regierungspräsidium und die Stadt Freiburg ein Ende der Missstände. Die Landesregierung reagierte darauf mit einer bekannten Mischung aus Verharmlosung und dem fragwürdigen Argument, die Maßnahmen dienten dem Schutz der Bewohner*innen. Die Stadt Freiburg schiebt die Verantwortung bequem an das Land und duldet damit die LEA und somit die  lokale Ausgestaltung der bundesweiten Lagerpolitik. Doch was ist das für eine Politik?

Die LEA Freiburg ist kein Einzelfall. Die grundrechtswidrige Hausordnung gilt in allen Aufnahmeeinrichtungen des Landes. In anderen Bundesländern gibt es ähnlich restriktive Formen der Massenunterbringung. Geformt von einer Bundesgesetzgebung, die in den letzten Jahren einen massiven Rechtsruck durchlaufen hat, sind es Einrichtungen, die kein Wohnen vorsehen. Stattdessen erfüllen sie die Funktionen der Ausgrenzung und Abschreckung. Ziel ist es nicht, ein Ankommen zu ermöglichen, sondern Abschiebungen durch Kontaktverhinderung zu erleichtern. So entsteht im Lager eine Situation, die sowohl von Bewohner*innen als auch von deutschen Gerichten mit einem Gefängnisaufenthalt verglichen wird.

Und es drohen weitere Verschärfungen: Im Rahmen eines bundesweiten „Sicherheitsdienstleistungsgesetzes“ könnten privaten Sicherheitsfirmen, welche die Hausordnung in den LEAs ausführen, weitere Befugnisse eingeräumt werden. In der LEA Freiburg ist zudem eine spezielle „Rückführabteilung“ geplant. Nach dem  Koalitionsvertrag von DIE GRÜNEN/CDU sollen hierfür die Kapazitäten der LEAs, so auch der LEA Freiburg, weiter ausgebaut werden. Der Trend geht somit ungehindert weiter in Richtung komplett isolierter, privat geführter Lager ohne jegliche staatliche oder zivilgesellschaftliche Kontrolle.

Warum stößt unsere Kritik an der LEA seit Jahren auf taube Ohren? Weil die LEA Teil einer Lagerpolitik ist, die nur mit massiven Grundrechtseinschränkungen funktionieren kann. Weil Isolation und Ausgrenzung Geflüchteter während ihres Asylverfahrens politisch gewollt ist. Und weil auf Landes- wie auf Bundesebene die Migrationspolitik nach wie vor der 3A-Regel folgt: Abschreckung und Abschottung nach Außen, Ausgrenzung nach Innen. Eine Kritik daran ist eine Kritik an der bundesdeutschen EU-Abschottungspolitik.

Sie wird von Parteien bis in die Kommune mitgetragen. Die Stadt Freiburg ist dabei ebenso verantwortlich. Ihrer Argumentation nach sei die LEA eine  Landeseinrichtung und Freiburg nun mal „kein Freistaat“, der unabhängig agieren könne. Dabei missachtet die kommunale Politik den Fakt, dass Freiburg und Baden-Württemberg im Fall der LEA offizielle Vertragspartner sind. Noch vor Vertragsabschluss betonte das Land, die Einrichtung nur mit politischer Zustimmung der Stadt zu betreiben. Zudem sind die Bewohner*innen rechtlich Einwohner*innen der Stadt – das begründet eine städtische Fürsorgepflicht. Die Stadt Freiburg scheint jedoch weder die Dramatik der Lagerpolitik noch die Dringlichkeit eines Umdenkens erkannt zu haben.

In der LEA wird eine Black Box geschaffen, Geflüchtete werden zu Menschen zweiter Klasse degradiert, die unter prekären Bedingungen teilweise jahrelang auf ihre Abschiebung warten. Wenn sich Freiburg also durch den Verweis auf mangelnde Zuständigkeit aus der Verantwortung stiehlt, kommt dies der Unterstützung einer rassistischen Politik gleich. Die politische Zustimmung für die LEA wiegt dabei umso schwerer, weil sich Freiburg durch die sogenannte „Vollprivilegierung“ von der Pflicht, weitere Geflüchtete kommunal aufzunehmen, befreit. In Zukunft werden Geflüchtete in Freiburg fast ausnahmslos in der LEA untergebracht. Mit dem Bild einer offenen und diversen Stadt ist das nicht in Einklang zu bringen.

Das Regierungspräsidium Freiburg stellt die restriktive Ausgestaltung der LEAs als einzige Möglichkeit dar, das „störungsfreie Zusammenleben“ im Lager sicherzustellen. Dass es in der LEA nicht um menschenwürdiges Wohnen, sondern – mit dem Regierungspräsidium – nur um ein „Nutzungsverhältnis“ geht, dürfte mittlerweile offensichtlich sein. Wäre dem Regierungspräsidium wirklich etwas am Schutz  der Schutzsuchenden gelegen, würde man sich nicht derart auf Schikanemaßnahmen versteifen. Inwiefern das Zusammenleben störungsfreier wird, wenn Bewohner*innen ihre Zimmer nicht abschließen können; wieso die Einrichtung von Besuchszeiten und Kochmöglichkeiten den Alltag im Lager stören, ergibt wohl nur in der vorherrschenden rassistischen Eigenlogik Sinn.

In der Gesamtschau sind diese Argumente fadenscheinig, zielen sie doch vor allem darauf, den Status quo zu legitimieren.  Flucht und Migration sind heutzutage Alltag und keine Randerscheinung. Das wird sich in den kommenden Jahren verschärfen, auch durch die Klimakrise. Daher braucht es jetzt ein Umdenken in der Asylpolitik, eine Abkehr vom Rechtsruck. Hier sehen wir die Stadt Freiburg als kommunale Akteurin in der Verantwortung, gegen die Zustände in der LEA aktiv zu werden.

Damit sind wir nicht allein: Im Dezember 2020 reichten sechs Geflüchtete Klage gegen die Hausordnung vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ein. Im Jahr 2021 hat sich ein breites Bündnis aus Freiburger Gruppen unserer Forderung nach einer Abkehr von Lagerunterbringung angeschlossen und die Stadtpolitik zum Handeln aufgefordert. Zu einer Demonstration mit dem Titel „Keine Lager – keine LEA“ kamen im April 2021 800 Menschen.

Die Kritik an der LEA ist keine Kritik an der geleisteten Sozial- und Unterstützungsarbeit für Geflüchtete. Im Gegenteil! Es braucht mehr Sozialarbeit, mehr konkrete Unterstützung der Menschen und weniger private Sicherheitsfirmen und vor allem ein anderes Konzept einer Erstaufnahme. Es braucht eine Erstaufnahme, die sich an der Selbstbestimmung der Person und an Menschenrechten orientiert und keine Kasernierung von Menschen, deren Zimmer Gefängniszellen ähneln. Daraus ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen. Im bundesweiten Bündnis „Lager-Watch“ wird daraufhin gearbeitet, die Missstände in deutschen Lagern anzuprangern und die faktische Handlungsmacht von Geflüchteten zu stärken. Auf Landesebene gilt die Kritik der neuen Regierung, die sich im Koalitionsvertrag klar zum System LEA bekennt. Dazu wird aktuell eine Petition sowie eine landesweite Aktion vorbereitet. Nicht zuletzt hat die Stadt Handlungsmöglichkeiten. Im September 2021 wird im Migrationsausschuss der Stadt ein Evaluationsbericht zur LEA vorgestellt – im Anschluss daran wird über einen weiteren Betrieb entschieden. Auf der Podiumsdiskussion im April äußerte das Gros der anwesenden Gemeinderatsmitgliedern Kritik an der LEA, dieser Kritik müssen jetzt konkrete Taten folgen. Es ist nicht Aufgabe von LEA-Watch hier zu intervenieren, sondern die Aufgabe der Stadtgesellschaft im Gesamten, mit all ihren politischen, humanistischen und intellektuellen Vertreter*innen. Freiburg muss sich von der Vollprivilegierung verabschieden und den Abbau der kommunalen Unterbringung beenden.

Geflüchtete brauchen einen Schutzraum, die LEA bietet ihnen das Gegenteil dessen. Das Konzept der Erstaufnahmeeinrichtungen greift die Grundrechtesubstanz dieser Gesellschaft an. Die LEAs sind rassistisch und menschenunwürdig. Das muss ein Ende haben: Lager schließen – Wohnungen für Geflüchtete!

Hinweise und weitere Informationen:
Alle wichtigen Infos und Materialien sind auf der Kampagnenhomepage online. In der Chronik können auch die jeweiligen Antworten im Original eingesehen werden: www.grundrechte-am-eingang-abgeben.de/chronik-eines-rechtsbruchs/
Umfassende Information zur Evaluierung der LEA Freiburg finden sich in der Broschüre „Wohnen statt Massenunterkunft“: https://www.aktionbleiberecht.de/?p=18798
Informationen zum bundesweiten Bündnis „Lager-Watch“ sowie der aktuelle Aufruf „Schutz für die, die Schutz suchen – Nur in der eignen Wohnung“ gibt es hier: www.lager-watch.org/
LEA-Watch ist offen für neue Aktive. Aufgrund der Pandemie sind Gruppentreffen mit Bewohner*innen weiterhin erschwert. Wir sind aktuell dabei, ein „Tandem-System“  aufzubauen. Wer Lust auf ein Tandem hat oder bei LEA-Watch mitmachen will, meldet sich hier: lea_fr_watch@riseup.net

Wir benutzen absichtlich den Lager-Begriff, da die Beschreibung als  Landeserstaufnahmeeinrichtung unzutreffend ist. In der Einrichtung finden all jene Gesetze Anwendung, die in den letzten 6 Jahren zu einem intensiven Abbau von Flüchtlingsrechten geführt haben. (Arbeits- und Ausbildungsverbote, Langzeitaufenthalt bis 18 Monate und darüber hinaus, Sachleistungsgebot, Residenzpflicht, Grundrechtseinschränkungen, Abschiebungen aus der Einrichtung und vieles mehr) Das Einrichtungsmanagement überwacht, kontrolliert jede*n einzelne*n Bewohner*in. Insofern erfüllt das Lager neben einer ersten Registrierung viele weitere ordnungspolitische Funktionen.