Bürgerasyl Ametovic: Offener Brief an den Petitionsausschuss des Landtages von Baden-Württemberg

Sehr geehrte Vorsitzende Frau Böhlen,

Sehr geehrte Mitglieder des Petitionsausschusses,

da inzwischen über ein humanitäres Aufenthaltsrecht für Frau Ametovic und deren Kinder öffentlich diskutiert wird, wenden wir uns mit diesem offenen Brief erneut an den Petitionsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg.

Wir gehen davon aus, dass der Petitionsausschuss am 28. September 2017 über die vor zweieinhalb Jahren eingegebene Petition des Freiburger Forums aktiv gegen Ausgrenzung entscheiden wird. Wir fordern ein humanitäres Bleiberecht, da die Kinder und Frau Ametovic darauf angewiesen sind.

Wir gehen davon aus, dass der Petitionsausschuss und die Landesregierung eine Lösung für die sechs Kinder und die alleinerziehende Frau Ametovic finden werden, und die Kinder nicht in äußerst prekären Verhältnisse zurück lässt. Wir gehen davon aus, dass rechtliche Wege gefunden werden können, die ein humanitäres Bleiberecht ermöglichen.

Wenn aus Ihrer Sicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – trotz der dargelegten Argumente – nicht in Betracht kommen sollte, so bitten wir Sie, sich zumindest für eine vorläufige Duldung von Frau Ametovic und ihren Kindern einzusetzen, bis sich der soziale und gesundheitliche Zustand der Familie geklärt und stabilisiert hat.

Nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen eine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Dringende Gründe sind dabei nicht gleichbedeutend mit zwingenden Gründen, da diese schon von der Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG fallen. Insofern besteht ein humanitärer Spielraum, der zugunsten der Familie genutzt werden kann.

Auch bei einer  Abschiebung ist das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. So heißt es in Erwägungsgrund 22 der EU-Rückführungsrichtlinie (RICHTLINIE 2008/115/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES):

In Übereinstimmung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 sollten die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Richtlinie insbesondere das ‚Wohl des Kindes‘ im Auge behalten. In Übereinstimmung mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sollte bei der Umsetzung dieser Richtlinie der Schutz des Familienlebens besonders beachtet werden.“

Nach Art. 14 der Rückführungsrichtlinie sind die spezifischen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen zu berücksichtigen. Dazu zählen nach Art. 3 „Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.“

Zu berücksichtigen sind die spezifischen Bedürfnisse auch in Hinblick auf die sich unmittelbar an die Abschiebung anschließende Situation, wie sich aus Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie ergibt. Diese Norm ist zwar unmittelbar nur auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge anwendbar. Frau Ametovic ist jedoch alleine in keiner Weise in der Lage, sich adäquat um ihre Kinder zu kümmern. Daher ist die Situation durchaus vergleichbar, mit der Konsequenz, dass die Betreuung und Unterstützung durch eine geeignete Aufnahmeeinrichtung sicherzustellen ist. Dies ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Herkunftsland nicht gewährleistet.

Am 26.07.2017 sollten Frau Ametovic und ihre Kinder nach Serbien abgeschoben werden. Ihr wurde zuvor vom Verwaltungsgericht Freiburg nicht mitgeteilt, dass der eingegebene Rechtsschutzantrag abgelehnt wurde. Erst Tage danach erhielt sie ein Schreiben des Verwaltungsgerichts.

In einem Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, datiert auf den 04.07.2017, wurde Frau Ametovic ein Monat eingeräumt, um entsprechende gesundheitliche Fragen zu ihren Sohn Martin betreffend einzureichen. Dieser eingeräumte Monat wurde jedoch vom Regierungspräsidium Karlsruhe nicht eingehalten. Verschiedene ärztliche Untersuchungstermine von Frau Ametovic und den Kindern konnten nicht wahrgenommen werden. (Dem Petitionsausschuss liegen die entsprechenden Unterlagen vor, die wir aus Gründen des Datenschutzes nicht veröffentlichen).

Wir weisen auf die aktuelle Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil von 29. August 2017 hin, dass in Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts „den Belangen von Familien mit Kindern besonders Rechnung getragen werden muss“. In diesem Urteil wurde die Abschiebung einer alleinstehenden Mutter und ihrer Kinder nach Bulgarien abgelehnt. (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. August 2017;  2 BvR 863/17 – Rn. 20).

Frau Ametovic und die Kinder sind besonders schutzbedürftig, da sie auf keine familiäre Hilfe in Serbien und nur auf eine minimale Unterstützung durch den serbischen Staat zurückgreifen können. Seit 2012 sucht Frau Ametovic nach Hilfe, die ihr bislang weder vom serbischen noch vom deutschen Staat gewährt wurde. Nicht zu helfen,  kommt in diesem Fall einer unterlassenen Hilfeleistung gleich.  Denn eine erneute Abschiebung würde für Frau Ametovic und die Kinder Hunger, Elend, Krankheit, Bildungslosigkeit und Kinderarbeit bedeuten.

Wir fordern dazu auf, dass bei der Entscheidung im Petitionsausschuss die UN-Kinderrechtskonvention einbezogen wird, die von Deutschland ratifiziert wurde. Dort ist in Artikel 3 festgeschrieben, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder  Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“. (Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989,  am 5. April 1992 für Deutschland in Kraft getreten)

Das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung sieht zahlreiche rechtliche Ansatzpunkte dafür,   den besonders schutzbedürftigen Kindern und Frau Ametovic, die bislang schon schlimmes erlebt haben, ein Bleiberecht aus humanitären Gründen einzuräumen.

Unser Ziel ist es, dass menschliche Maßstäbe angesetzt werden und der besonders schutzbedürftigen Familie nun endlich geholfen wird.

Freiburg, 12.9.2017

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