Aufruf zur Abschaffung der Residenzpflicht: „Ich werde keinen Cent für meine Bewegungsfreiheit zahlen!“

Von Miloud L. Cherif in Zella-Mehlis –  Warum kontrollieren Sie nur mich?!!
Wir rufen zur Abschaffung der Residenzpflicht auf! Abschaffung der Rassistischen Polizeikontrollen sofort!  Auch im Jahr 2012 sind rassistische Polizeikontrollen und -brutalität ebenso  wie das Apartheid-Passgesetz, das als Residenzpflicht bekannt ist, weiterhin der Magnet, mit dem Flüchtlinge in Deutschland in die Falle der Kriminalität gezogen werden sollen. Überall in diesem Land, werden diejenigen, die nicht die „richtige“ Hautfarbe haben oder „fremd“ aussehen aus der Menge abgesondert; an Bushaltestellen, Bahnhöfen, in Zügen, auf den Straßen etc. und werden von der Polizei aufgefordert, ihre Papiere zu zeigen. Wir werden tagtäglich öffentlich diskriminiert, erniedrigt und eingeladen zu einem Mahl von offenem Rassismus von Seiten der Polizei, weil sie daran glauben, dass das Gesetz ihnen erlaubt, dies zu tun und weil sie die Unterstützung der Öffentlichkeit dafür haben.

Gefragt, warum sie uns herauspicken und kontrollieren, bekommt man für gewöhnlich von Seiten der Polizei zu hören: „Es ist unser Job, dich zu kontrollieren“, „Wir haben das Recht, dich zu überprüfen“ und: „Wir suchen Kriminelle, die das Gesetz gebrochen haben“. Und an dieser Stelle gibt es einen kleinen Widerspruch. Falls du zufällig ein Flüchtling bist und du keine Erlaubnis hast, dort zu sein, wo du kontrolliert wirst, werden sie dir sagen: „Du wirst kontrolliert, weil du keine Erlaubnis hast, dich außerhalb deines Landkreises aufzuhalten“. Dies sind die Standardantworten, die wir bekommen, falls sie uns überhaupt antworten. Denke daran: eine Frage zu stellen, ist in erster Linie eine offene Einladung für sie, dich zu misshandeln, denn: Du darfst keine Fragen stellen oder ihnen sagen, wie sie ihren großartigen Job erledigen sollen.

Doch das ist der Punkt, wenn du dich dafür interessierst, und das gilt insbesondere der Polizei und der ignoranten Menge der Umstehenden, die weiterhin rassistische Polizeikontrollen und -brutalität unterstützen: Die Polizei behauptet jedes Mal, sie hätte das Recht uns zu kontrollieren, wie jeden anderen auch. Und wir haben Situationen erlebt, in denen nette, gute Bürger und patriotische Deutsche, bereitwillig und eifrig Hals über Kopf herbeispringen, um die rassistische Polizeikontrolle zu unterstützen, denn in ihren Augen ist eine Polizeikontrolle nichts Schlimmes. Aber die Frage ist nicht, ob sie das Recht haben, uns zu kontrollieren. Die Frage ist: Warum wird die Polizei immer nur die Schwarze oder die „nicht-weiße, fremd-aussehende“ Person nach den Dokumenten fragen, während alle  Weißen drumherum nicht kontrolliert werden? Das ist der Grund, warum es sich um eine rassistische Kontrolle handelt. Wenn die Polizei beweisen will, dass wir im Unrecht sind –  andernfalls müssen sie uns Glauben schenken –  müssen sie uns etwas anderes vorführen und uns genauso wie alle anderen behandeln. Und das heißt: Uns nicht aus der Menge herauszusortieren, weil wir nicht „deutsch“ aussehen.

Für die Polizei ist es an der Zeit, damit aufzuhören, sich hinter dem Gesetz zu verstecken und hinter ihrem vielgepriesenen Recht auf Kontrolle, und die rassistischen Polizeikontrollen zu beenden. Wir haben diesen institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus mehr als satt und wir rufen alle wohlgesonnenen Individuen und Gruppen auf, sich uns in Solidarität anzuschließen und diesen unverhohlenen Rassismus zu beseitigen.

Wie in den beiden kurzen Statements zweier unserer Aktivisten zu sehen ist, sind wir entschlossen, unseren Kampf fortzusetzen. Wir machen damit weiter, unser natürliches Recht auf Bewegungsfreiheit zu genießen und wir werden uns nicht beugen – weder der Einschüchterung noch der Ungerechtigkeit.

Warum kontrollieren Sie nur mich?!!

Statement von Miloud L. Cherif – The VOICE Refugee Forum, Zella-Mehlis

Am Freitag, den 13. Januar, kontrollierte mich die Kriminalpolizei Heilbronn im Regionalexpress von Würzburg nach Stuttgart.  In Stuttgart sollte ein von The VOICE organisierter Workshop stattfinden.

Unter allen Passagieren im Zugabteil kontrollierten die beiden Zivilpolizisten nur MICH. Ich fragte Sie: „Warum kontrollieren sie mich und nur mich?“ Die Polizisten beantworteten meine Frage nicht und unmittelbar nach der Überprüfung meiner Identitätspapiere, wiesen sie mich an, den Zug in Richtung ihrer Wache am nächsten Bahnhof zu verlassen. Als der Zug anhielt, gingen wir zum Revier direkt neben dem Bahnhof. Während wir gingen, lief einer der beiden Polizisten neben mir, der andere hinter mir. Auf dem Weg dorthin behandelten sie mich und führten mich schadenfroh vor wie einen gefährlichen Kriminellen, den sie beflissen vom Weglaufen abhalten wollten.

Meine Frage lautet so: Sehe ich aus wie ein Verbrecher? Wird jeder, der in Deutschland lebt und nicht „weiß“ ist, automatisch zum Kriminellen, weil er oder sie nicht „weiß“ ist? Offensichtlich läuft so das System und diejenigen, die es betreiben, wollen, dass jeder glaubt, dass Fremde und insbesondere Flüchtlinge gefährliche Kriminelle sind. Aber das ist RASSISMUS.

Sie brauchten nach meiner Festnahme eine ganze Stunde, bis sie mich schließlich wieder frei ließen. Die ganze Zeit über hörte ich nicht auf, zu fragen, warum sie mich kontrollierten und warum mich alleine. Ich bekam keine Antworten. Am Ende fragte ich ihren „Chef“ und der antwortete mir mit einem verschlagenen Lächeln: „Es war nicht ich, der dich kontrolliert hat!“: Ein anderer Beamter fragte mich: „Weißt du nicht, dass du gegen das Residenzpflicht-Gesetz verstoßen hast?“ „Doch, ich weiß“, sagte ich. „Warum hast du es dann getan?“, fragte er. Ich antwortete, das Gesetz sei rassistisch und respektiere mich nicht als Person. Weshalb sollte ich dann das Gesetz respektieren? Er sagte, ich würde eine Strafe zu zahlen haben.
Ich antwortete: „Nur über meine Leiche. Ich werde niemals einen Cent für meine Freiheit zahlen, würdest du es tun?“ Er war sprachlos. Er ging und brachte mir einige Dokumente, die ich unterzeichnen sollte. Ich bat um englische Fassungen. Er holte sie. Das erste Dokumente trug den Titel „Informationen für Personen, die eines Vergehens verdächtigt werden, die zum Zweck des Identitätsnachweises festgenommen wurden.“  (Rückübersetzung aus dem Englischen, dort: ‘Information for persons suspected of an offence that are apprehended to establish their Identity‘) Das Dokument sagt klar aus, dass wir als eines Vergehens Verdächtige gesehen werden.

Aber lasst uns hier einen Moment lang innehalten und die zwei Polizisten, die mich kontrollierten, fragen: „Welches Vergehen habe ich  begangen? Ist es die Farbe meiner Haut und meines Haares? Ist es, weil ich anders aussehe als sie? Ich frage mich, wie ihre Antworten lauten würden. Aber wie immer sie ausfallen würden: Ich fordere die Polizei heraus, mir eine einzige schlüssige Antwort zu liefern auf die Frage, warum sie mich kontrolliert haben, die nicht auf Rassismus basiert.

Ich sage es ihnen laut: Dies ist eine rassistische Kontrolle – rassistische, rassistische, rassistische Kontrolle. Stoppt die rassistischen Polizeikontrollen. Und ich wiederhole: Stoppt die rassistischen Polizeikontrollen!

Ich werde keinen Cent für meine Bewegungsfreiheit zahlen, die Ausländerbehörde soll ihre Briefmarken sparen und mir keine Briefe schicken, denn ich werde KEINE Strafe bezahlen.

Und hier ist meine Botschaft an alle: Sagt der deutschen Polizei, dass ich mich frei in Deutschland bewegen werden, wo immer ich will und ich werde damit niemals aufhören. Bitte richtet ihnen aus, dass sie in all ihren Polizeirevieren und Bahnhöfen meine Fotos aushängen sollen, denn schon bald werde ich wieder vorbeikommen und mein natürliches Recht auf Bewegungsfreiheit weiter genießen.

Rassistische Kontrollen stoppen! Residenzpflicht abschaffen!

Informationen zu den Polizisten, die mich kontrollierten:
PK Liedl und PHM Klos
Bundespolizeiinspektion Stuutgart
Bundespolizeirevier Heilbronn
Bahnhofstraße 30
74072 Heilbronn
Tel: 07131 888260-0. Fax: 07131 888260-48.

Unterstützt die Kampagne des Widerstands gegen die Festnahme/Verhaftung Miloud L. Cherifs wegen der Residenzpflicht.
http://thevoiceforum.org/search/node/Miloud+Cherif

Zurück in Deutschland. Mein Geschenk zum Jahresende von der deutschen Polizei. Von Sunny Omwenyeke

Zum Ende des Jahres 2011 brachte mir die deutsche Polizei ein Jahresendgeschenk dar; eine Erinnerung daran, dass rassistische Polizeikontrollen lebendig, wohlauf und gesund in Deutschland weiterleben.

Es war der 30. Dezember 2011, während eines Besuchs zurück in Deutschland, zurück zu den Kontrollen wie üblich. Gerade vor Karlsruhe stiegen zwei Polizisten in den Zug, in dem ich mit meiner Lebensgefährtin und meiner sechsjährigen Tochter reiste. Da ihre Uniform mehr nach Beamten der Zugsicherheit als nach Polizei aussah, erkannte ich sie nicht sofort, erst dann, als meine Tochter, die neben ihrer Mutter auf einer eigenen Bank saß und eine bessere Sicht hatte, zu ihrer Mutter sagte: „Polizei.“

Das war noch nicht ausgesprochen, da wandten sich die Polizisten an mich und fragten nach meinem „Ausweis“. Ich sagte: „Was?“ Und sie antworteten, dass sie mich kontrollieren wollten. Eine deutsche Frau, die mir gegenüber saß, griff ein im Versuch, die Situationen nicht eskalieren zu lassen. Sie sagte: „Vielleicht suchen sie jemanden, der so aussieht wie Sie!“, und rieb dabei ihre Handfläche gegen ihren Arm, um darauf hinzuweisen, dass sie auf meine Hautfarbe anspielte. Ich sagte ihnen, dass ich wüsste, dass sie mich kontrollieren wollten, aber weshalb nur mich und nicht andere Leute im Zug? Sie sagten, ich hätte ihnen nicht zu erklären, wie sie ihren Job machen sollten und sie bräuchten mir gegenüber nicht nachzuweisen, was sie zuvor gemacht hätten. Ich erklärte ihnen, wenn sie in den Zug kämen und mich als Einzigen nach meinem Pass fragten, dass sei das Rassismus und Diskriminierung und deshalb sei ich nicht bereit, ihn herzuzeigen. Und so setzte sich die verfahrene Situation fort.

Hinter dem Sitz, wo mein Kind und seine Mutter saßen, hatte ein etwas älterer Mann begonnen, die Aktion der Polizei zu unterstützen und meine Lebensgefährtin hatte angefangen, mit ihm zu diskutieren. Ich forderte den Mann auf, ruhig zu sein und wies ihn darauf hin, dass wir uns nicht im Jahr 1938 oder 1943 befänden, sondern im Jahr 2011. So setzte sich das Ganze fort.

Und dann mischte sich ein anderer etwas älterer Mann zur Unterstützung der Polizei ein und sagte, dass ich diesen Aufruhr begonnen hätte und dass ich meinen Ausweis zeigen sollte. Er zog seinen eigenen Ausweis heraus und meinte, die Polizei könne ihn kontrollieren, und er wüsste nicht, warum es für mich ein Problem sei, ihn zu zeigen. Ich wandte mich zu ihm und sagte, natürlich würde er es nicht wissen, denn es fehlten ihm die Erfahrungen der Flüchtlinge, der Schwarzen Menschen und der anderen, die nicht „weiß“ seien, die tagtäglich in Deutschland von der Polizei kontrolliert und misshandelt würden. Doch ich forderte ihn auch auf, falls er Gefallen daran habe, von der Polizei kontrolliert und misshandelt zu werden, könne er sich ja gerne selbst der Polizei unterwerfen. Im Laufe der Auseinandersetzung bezeichnete er mich als „Brownie“ und dann lud ich Kraftausdrücke auf ihm ab. Wie man sich gut vorstellen kann, stand der Ausdruck  meiner Stimme im entsprechenden Verhältnis zu meiner Wut und meinem Ärger. Nun drohten sie damit, dass sie mich mitnehmen  würden, falls die Situation so andauern sollte.

Zu diesem Zeitpunkt weinte meine Tochter, war ängstlich und panisch, dass mir etwas passieren könnte; eine Situation, die mich veranlasste, der Polizei meinen Ausweis zu zeigen. Und ich sagte ihnen, dass sie ihn nie gesehen hätten, wenn es mir nicht um meine  Tochter gegangen wäre. Dann erklärte einer der Beamten meiner Lebensgefährtin, dass sie das Recht hätten, das zu tun, und dass wir, falls wir nicht einverstanden seien, politisch dagegen vorgehen sollten. Darauf erhielt er die Antwort: „Selbstverständlich kämpfen wir politisch dagegen. Glauben Sie, wir würden nicht dagegen kämpfen und hätten jetzt gerade damit angefangen?“

Deutschland – wird es sich jemals ändern? Nur die Zeit kann uns das sagen – aber sie vergeht zu schnell!

Residenzpflicht: Sunny Omwenyeke is Free! Sunny aus dem Gefängnis entlassen (dt/eng) http://thevoiceforum.org/fD-sunnyEnglisches Archiv: Sunny Omwenyeke zur Residenzpflicht
http://thevoiceforum.org/node/2414

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